Veranstaltungsbericht zu „Mehr Frauen, Mehr Frieden!?“
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Der März steht ganz im Zeichen des internationalen Frauentags. Das Eine Welt Forum Düsseldorf und das Eine Welt Netz NRW haben dies zum Anlass genommen, um einen Blick auf das Thema „Feministische Außen und Sicherheitspolitik“ zu werfen und den Koalitionsvertrag diesbezüglich genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Ampel-Koalition hatte angekündigt, sich einer „Feminist Foreign Policy“ anzunähern, und Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen und Mädchen weltweit zu stärken. Doch was heißt das eigentlich genau? Was sind die Potenziale feministischer Außenpolitik und wie kann eine konkrete Umsetzung aussehen?
Zu diesen Fragen informierten und diskutierten Dr. Cornelia Ulbert (INEF, Universität Duisburg-Essen) und die Düsseldorfer Bundestagsabgeordneten Sara Nanni (Bündnis 90/Die Grünen), Dr. Zanda Martens (SPD) und Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) am Mittwoch, den 2. März 2022 im Rahmen einer Online-Veranstaltung. Moderiert wurde die Veranstaltung von Monika Dülge (Geschäftsführerin Eine Welt Netz NRW).
Thematische Einführung von Dr. Cornelia Ulbert
Dr. Cornelia Ulbert ist wissenschaftliche Geschäftsführerin des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF) an der Universität Duisburg-Essen. Sie eröffnete ihre Eingangspräsentation mit der Aussage, dass wir uns in einer Zeitenwende befänden und es eine „hohe Notwendigkeit neue Ansätze zu entwickeln“ gebe. Sie bezog sich hierbei direkt auf den Krieg in der Ukraine und betonte, dass die Instrumente gegen Aggressionen nicht ausschließlich von militärischer Natur sein können. Es müsse einen neuen Weg geben, der Menschenleben retten kann.
Daraufhin klärte sie die Frage, was genau feministisch an einer „Feministischen Außenpolitik“ (FAP) sei. Eine FAP zeichnet sich insbesondere durch eine wertegeleitete Politik aus, welche sich zum Ziel setzt, soziale Ungerechtigkeit ab- und Gendergerechtigkeit aufzubauen. Diese Politik gestaltet sich vornehmlich als friedlich, divers und inklusiv mit dem unter anderem daraus resultierenden Ziel, „Gewaltprävention in Friedens- und Kriegszeiten nach vorne zu rücken“. An dieser Stelle kritisierte Ulbert verstärkt „den Einsatz militärischer Mittel zur Konfliktbearbeitung“ und die anhaltenden patriarchalen Strukturen in der Gesellschaft. Diese würden immer noch stark den Zielen einer FAP im Weg stehen und gehe leider mit der Frage, wie sich die FAP in der Praxis gestaltet, mit einher.
Eine der wichtigsten Grundlagen dieses Aspekts sei die „Agenda zu Frauen, Frieden und Sicherheit („Women, Peace and Security Agenda“), basierend auf der Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrats aus dem Jahr 2000“. Diese ist auch im neuen Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung fest verankert. Damit zieht Deutschland mit den Ländern Schweden, Kanada, Frankreich, Luxemburg, Mexiko und Spanien nach.
Allerdings gestalte sich die konkrete Umsetzung aufgrund der oben erwähnten patriarchalen Gesellschaftsstrukturen als sehr schwierig. Das Problem läge bei der Zuschreibung geschlechtskodierter Eigenschaften mit der eine Geschlechterdifferenz zwischen „männlich“ und „weiblich“ festgelegt werde. Hierbei würden männliche Eigenschaften eindeutig gegenüber weiblichen Eigenschaften privilegiert werden. Dabei stehe das „Männliche“ für ein handelndes Subjekt, das rational denkt und produktiv für eine Gemeinschaft tätig sei. Demgegenüber werde das „Weibliche“ mit einem schützenswerten Objekt gleichgesetzt, das emotional ist und dem die Aufgabe der Reproduktion zufalle.
Dieses starke Ungleichgewicht ließe sich im übertragenden Sinne auch bei der Entwicklungszusammenarbeit beobachten: Auch hier gibt es zwei Seiten, bei denen die eine Seite als „Nehmer“ und die andere Seite als „Geber“ betitelt werden. Ulbert beschrieb hierbei das Verhalten der „Geberländer“ in Form eines dominanten männlich geprägten Rollenbild. Die „Nehmerländer“ seien in diesem Beziehungskonstrukt „auf die paternale Fürsorge der Geberländer angewiesenen“ und somit nicht fähig eigenständig zu handeln. Es könne nicht zu einem Dialog auf Augenhöhe kommen.
Jedoch seien „Rollenbilder nicht in Stein gemeißelt“, so Ulbert weiter. Sie bezog sich hierbei auf einen Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in welchem das Auftreten von Putin und Selenskyi im Ukraine-Krieg thematisiert wurde. Putins Selbstinszenierung in Form einer starken, dominanten politischen Führungspersönlichkeit sei gescheitert. Denn „männlich, stark, entschlossen wirkt jetzt ein anderer“ (Claudius Seidl, in: FAZ, Nr. 51, 02.03.2022, S. 11). Selenskyi habe im Wettbewerb der Bilder und Inszenierungen einen klaren Sieg (aus Sicht des Westens) errungen. Er trete im Kontrast zu Putin als ein beschützendes und fürsorgliches Staatsoberhaupt auf, welches darauf bedacht sei, sein Volk zu schützen und stets den Dialog suche.
Abschließend fasste Ulbert die Kernfragen und Thesen noch einmal zusammen und ging dabei auf eine mögliche Zukunft ein, indem sie die Rede der neuen Außenministerin Annalena Baerbock vor den Vereinten Nationen (VN) am 01.03.2022 zum Fallbeispiel einer feministischen Außenpolitik erklärte. Baerbocks offene Äußerung „I hear you“ zur Ukraine und das selbstkritische Zugeständnis „das eigene Handeln [in der Vergangenheit] zu hinterfragen“ seien genau das, was eine feministische Außenpolitik ausmache.
In der Praxis könnten beispielsweise strenge Wirtschaftssanktionen ein neuer Weg sein, um auf staatliche Aggressionen zu reagieren und eine Alternative, um nicht den Weg des militärischen Handelns beschreiten zu müssen. Ulbert war es zudem wichtig anzuregen, dass der Begriff „Sicherheit“ neu gedacht und die menschliche Sicherheit immer mit einbezogen werden müsse. Die Kanäle der Diplomatie und der Konversationen müssen immer offengehalten werden, so Ulbert, auch wenn das bedeutet, dass man sich mit der Frage auseinandersetzen muss, inwieweit man mit undemokratischen Akteur*innen verhandeln sollte.
Lese-Tipp:
In einem aktuellen Blog-Beitrag setzt sich Cornelia Ulbert intensiver mit der Frage auseinander, was Hypermaskulinität mit dem Ukraine-Krieg zu tun hat:
https://www.uni-due.de/inef/blog/maennliche-staaten-was-hypermaskulinitaet-mit-dem-ukraine-krieg-zu-tun-hat.php
Diskussionsrunde zwischen den Teilnehmerinnen
Nach dem einleitenden Vortrag wurden die drei Düsseldorfer Bundestagsabgeordneten mit in die Diskussion einbezogen. Die neue Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann machte dabei den Auftakt:
Der Begriff „Feministische Außenpolitik“ habe ihr zunächst einmal bei den Koalitionsverhandlungen wenig gesagt, wurde ihr allerdings nach einer intensiveren Auseinandersetzung damit schnell deutlicher. Im Verlauf der Gespräche habe man sich schließlich auf die englischsprachige Formulierung „feminist foreign policy“ (FFP) geeinigt. Der Begriff habe auf einer internationalen Ebene eine völlig andere Wirkung als auf einer nationalen, so Strack-Zimmermann. Sie lobte Annalena Baerbocks Arbeit in dem Amt als Außenministerin und ihre Rede vor den VN. Strack-Zimmermann empfand, dass eine feministische Außenpolitik „anders in die Welt geht“ und im Gegensatz zu einem männlichen „Macho-Gehabe“ stehen würde. Sie äußerte sich begeistert von der in der EU und der NATO aktuell herrschenden Solidarität gegenüber der Ukraine und ist wie Ulbert der Meinung, dass ein Perspektivenwechsel in der Außenpolitik richtig und wichtig sei.
Sara Nanni stimmte ihren beiden Vorrederinnen zu und meinte, dass „die aktuelle Lage zeigt, dass Außenpolitik nicht durch ‚powerplay‘ gemacht werden kann“. Sie befürwortete eine feministische Außenpolitik eindeutig, da „eine progressive Außenpolitik immer eine feministische Außenpolitik sei“. Anschließend kritisierte sie, wie 2014 mit der Situation in der Ukraine auf der Krim umgegangen worden sei. Die Situation sei nicht ernst genommen worden, so Nanni. Dies spiegle sich auch in der aktuellen Eskalation des Konflikts in der Ukraine wider und Putin sei, trotz zahlreicher Warnungen von Expert*innen, nicht ernst genommen worden.
Ergänzend fügte Nanni an, dass die aktuell verhängten Sanktionen gegen Russland zu Rückschlüssen auf den europäischen Binnenmarkt führen werden. Man könne eine feministische Außenpolitik demzufolge nur konsequent leben, wenn man mit den daraus resultierenden Konsequenzen leben könne.
Sie verurteilte die hohen geplanten Militärausgaben und erwiderte, dass es auch andere Investitionen benötige als nur Militärausgaben um die Situation zu lösen. Zudem müsse der Begriff „Bedrohung“ auch in diesem Zusammenhang wesentlich weiter gefasst werden und mehr als militärisches Handeln mit einbeziehen.
Dr. Zanda Martens leitete ein, dass sie die feministische Außenpolitik durch eine „pragmatische Brille“ sehen würde. Die Diplomatie sei immer der richtige und entscheidende Weg, stimmte sie mit Ulbert überein. Dabei seien jedoch auch stets Frauen und feministische Perspektiven direkt mit einzubeziehen. Als Gegenbeispiel hierzu führte sie die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland auf, bei welchen bislang keine einzige Frau beteiligt gewesen war.
Auf der anderen Seite gab Martens allerdings klar die Grenzen einer FAP zu bedenken und kritisierte, dass eine feministische Entspannungspolitik nur dann funktionieren könne, wenn alle Seiten das gleiche Ziel verfolgen.
Verbessert eine feministische Außenpolitik die Situation der Frauen in Afghanistan?
Aus dem Kreis der Veranstaltungsteilnehmer*innen kam im Anschluss die Frage auf, inwieweit eine feministische Außenpolitik Deutschlands die Situation von Frauen und Mädchen in Krisengebieten weltweit ganz grundsätzlich verbessern kann. Schnell kam die Sprache auf die konkrete Situation in Afghanistan. Cornelia Ulbert kommentierte, dass die humanistischen Aktionen Deutschlands in Afghanistan gescheitert seien und das Ziel, die Rechte der Frauen zu stärken, nicht erreicht worden wäre. Es wäre zwar Friedensarbeit geleistet worden, aber „das Umfeld hat nicht gepasst“. Es könne keine Verbesserung für Frauen in einem Land geben, welches die Frauenrechte nicht achte.
Daraufhin griff Ulbert die Äußerung von Sara Nanni auf, dass Expert*innen oftmals nicht ernst genug genommen werden. Dies könne man auch auf die Machtübernahme der Taliban im vergangenen Sommer beziehen, welche nach Expert*innenmeinungen keine Überraschung gewesen sei. Als weiteres Beispiel für den Umgang mit Gefahren von nicht-militärischer Natur nannte Ulbert den Umgang mit der Klimakrise. Sie erklärte, dass sie sich bereits seit den 1990er Jahren mit diesem Problem befasse und es seither immer Warnung von Expert*innen gegeben hatte, welche jedoch nicht ernst genug genommen wurden. Sie stellte die Frage in den Raum, warum auf Bedrohungen immer erst nach dem Eintreten der Krise und nicht bereits präventiv reagiert werde. Selbst meinte sie dazu, das Problem wäre zu einem großen Teil in der Unpopularität der Themen begründet.
Ulberts Kommentar zu Deutschlands Vorgehen in Afghanistan wurde von Marie-Agnes Strack-Zimmermann nicht vollumfänglich geteilt. Sie stellte heraus, dass die humanitären Aktivitäten Deutschlands zur Bildung von Frauen in Afghanistan durchaus große Erfolge mit sich gebracht hätten. Viele Frauen können nun Lesen und Schreiben und Strack-Zimmermann sähe deshalb „eine gute Prägung für Frauen insbesondere in den urbanen Bezirken von Afghanistan“. Auf der anderen Seite musste Sie zugestehen, dass auch „viel falsch gelaufen ist“. Ulberts Frage, ob man mit den Taliban in Verhandlungen treten dürfe, wurde von Strack-Zimmermann entschieden bejaht. Man müsse es tun, wenn man Frauen in Afghanistan unterstützen wolle, ob einem das nun passe oder nicht.
Im Anschluss daran griff Zanda Martens die Frage von Cornelia Ulbert auf, warum es oftmals bei Bedrohungen trotz Warnungen von Expert*innen späte Reaktionen gebe. Sie erläuterte, dass es an einer differenzierten Betrachtungsweise seitens unterschiedlichster Interessensgruppen läge. Dies führe zu einer unterschiedlichen Wahrnehmung von Problemen. Als Beispiel: Eine Aktivität zum Entgegensteuern der Klimakrise bringe meist direkte negative Folgen für die Wirtschaft mit sich und habe erst zu einem späteren Zeitpunkt positive Auswirkungen auf den Klimawandel selbst. Die beiden Interessensgruppen sind hierbei die Akteur*innen in der Wirtschaft und die Akteur*innen im Klimaschutz. Es müssen beide Lager in diesem Vorgehen berücksichtigt werden, um sowohl das Klima zu schützen als auch die Wirtschaft nicht zu stark einzuschränken.
Zum Abschluss der Veranstaltung kam Sara Nanni zu Wort und bezog die Aspekte der vorangegangenen Diskussion noch einmal auf den Krieg in der Ukraine: „Jede Veränderung beginnt mit einer gemeinsamen Problembetrachtung“, so Nanni. Um eine Krisensituation in etwas Positives überführen zu können, sei es unter anderem wichtig, die Problemlage zunächst als solche anzuerkennen. Sie äußerte, wie „beruhigt“ sie inzwischen sei, dass Putin endlich ernst genommen und die Situation in der Ukraine als überregionale Krise wahrgenommen werde. Damit sei eine wichtige Voraussetzung geschaffen, um an einer Lösung des Konflikts arbeiten.
Das Eine Welt Forum Düsseldorf und das Eine Welt Netz NRW bedanken sich herzlich bei allen Beteiligten und Teilnehmer*innen für das Interesse! Bei Anregungen zu unserer Arbeit melden Sie sich gerne jederzeit bei uns: info@eineweltforum.de.